Susan Müller-Paulsen (SHZ, 19.10.2024)
„Olivia macht Schule“ heißt ein Projekt, mit dem Deutschlands bekannteste Dragqueen Olivia Jones aufklären und für Toleranz werben möchte. Als Botschafterin des Projektes kam jetzt die Travestiekünstlerin „Veuve Noire“ auf die Insel Föhr, um den Schülern der Eilun Feer Skuul ab der 9. Klasse von ihren Erfahrungen mit Ausgrenzung und Hass zu berichten und für Offenheit und Respekt in der Gesellschaft zu werben.
„Du tust mir nicht gut – raus aus meinem Leben“. Es hat lange gedauert, bis Dragqueen „Veuve Noire“, geboren als Hendrik Schmidt im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern, diesen Satz denken und sagen konnte. Am Dienstag trat sie vor rund 150 Schülern in der Wyker Eilun Feer Skuul auf, um darüber zu sprechen, wie die Gesellschaft mit Minderheiten umgeht – und mit Menschen, die nicht unbedingt der Norm entsprechen.
„Ich bin eine heterosexuelle Frau im Körper eines schwulen Mannes“, erklärt „Veuve Noire“ gleich zu Beginn dieser 90 Minuten, die zu einer Mischung aus Information und Performance werden. „Ich bin einfach ein Mann, der sich gerne schminkt“, setzt sie nach. Und ihr Name? „Sprecht es aus wie „Wöff“ – so wie ein schwuler Hund bellt“, spielt die Travestiekünstlerin routiniert mit den gängigen Vorurteilen und provoziert damit natürlich Lacher im Publikum.
Das Evangelische Kinder- und Jugendbüro (EKJB) des Kirchenkreises Nordfriesland sponsert die Veranstaltung, insgesamt gibt es sechs Termine in Nordfriesland in Schulen, Kindergärten und Seniorenheimen – immer mit „Veuve Noire“ als Aushängeschild. „Wir als Kirche setzen uns für eine bunte und vielfältige Gesellschaft ein“, sagt Anna Ihme, Sozialarbeiterin im EKJB, die „Veuve Noire“ begleitet. „Aus Unsicherheiten entstehen homophobes Verhalten und Hass. Dem wollen wir mit diesen Veranstaltungen etwas entgegensetzen“.
Zunächst geht es im Forum der Eilun Feer Skuul ganz sachlich per Powerpoint-Präsentation um Begriffe wie Geschlechts-Identität, um Homosexualität in der Tierwelt oder darum, dass in Deutschland erst 1994 der sogenannte Schwulen-Paragraf 175 endgültig gestrichen wurde. Dann tauchen hinter „Veuve Noire“ Bilder eines blonden Jungen auf – der kleine Hendrik, mit sechs, mit acht, mit zwölf Jahren. „Ich war schon immer femininer als andere“, erklärt die Dragqueen und erzählt von „homophoben Schulhöfen“, von Lehrern, die weggesehen haben und von immer wiederkehrenden Gewalterfahrungen.
Von seiner vermeintlich besten Freundin geoutet, anschließend im Bekanntenkreis per SMS als „blöde Schwuchtel“ beschimpft, während der Ausbildung in einem Hotel gemobbt. „Es gab niemanden, der hinter mir stand“, berichtet „Veuve“, die mit professioneller Kiez-Flapsigkeit die erschütternden Einzelheiten für ihre Zuhörer erträglich macht – und vielleicht ja auch für sich selbst. Von einem geplanten Selbstmord hält sie nur der zufällige Anruf einer Freundin ab und es entsteht die Erkenntnis: „Perle, Du musst in die Großstadt“.
„Drag“ zu sein ist keine Rolle für „Veuve Noire“
In Hamburg landet sie in der „Olivia Jones-Bar“ auf dem Kiez, erlebt die „Nacht ihres Lebens“, und – wie sie sagt – ihren „zweiten Geburtstag“. Seit 2013 lebt sie als „Drag“. Das sei „keine Rolle – ich trage mein Innerstes nach außen“, betont die 40-jährige Künstlerin und schließt ihren Vortrag mit einem Appell: „Leute, seht nicht weg – jeder hat das Recht, Mensch zu sein. Und bleibt Euch selbst treu“.
Die anschließende Fragerunde will nicht so recht warmlaufen: „Was bedeuten Deine Tatoos?“, „Wie hält man das auf den hohen Schuhen aus?“, „Welche Toilette benutzt Du?“ – die für Damen – oder „Gibt es Dich auch ungeschminkt?“ Antwort: „Ja, für fünf Minuten beim Penny schmeiß ich mich nicht drei Stunden in Schale“. Beim „Meet and Greet“ ist es dann aber vorbei mit Befangenheit und Zurückhaltung. Für jeden in der Schlange gibt es ein Erinnerungsfoto und die Dragqueen übernimmt auch schon mal selbst das fremde Handy, damit das Selfie mit ihr perfekt wird.
Ein paar persönliche Worte, ein paar Tipps zum Eyeliner – am Ende steht bei Schulleiter Ingo Langhans die Erkenntnis: „Das hat in 90 Minuten sicher mehr bewegt, als wir jemals theoretisch an der Tafel erreicht hätten“.